Das Schulwesen in der Provinz Westpreußen



Zum Zeitpunkt der Angliederung Westpreußens an Preußen bestanden höhere Lehranstalten nur in Elbing und Kulm, sowie in den Jesuitenkollegien in Alt Schottland, Deutsch Krone, Graudenz, Konitz und Marienburg. Die "Gesellschaft Jesu" (Jesuiten) wurde durch das päpstliche Breve vom 21. Juli 1773 aufgelöst. Die Jesuitenkollegien wurden sodann in katholische Gymnasien (in Alt Schottland in das Akademische Gymnasium) umgewandelt und zunächst unter Beibehaltung der alten Lehrerschaft fortgeführt. Im Juni 1776 wurde zur Erziehung von Kindern des westpreußischen Adels eine Kadettenschule in Kulm neu eröffnet, die nach ihrem einhundertjährigen Bestehen in Kulm nach Köslin verlegt worden ist.

Nach der Angliederung von Danzig und Thorn an Westpreußen im Jahre 1793 traten zu den vorstehend angesprochenen "Gelehrtenschulen" noch die Gymnasien in Danzig und Thorn hinzu. Das Gymnasien in Marienburg kam überhaupt nicht zur Entwicklung und die Gymnasien in Alt Schottland, Graudenz und Konitz wurden im Zuge der napoleonischen Kriege geschlossen. Die Kadettenschule in Kulm sank durch eine mangelhafte Lehrerausstattung und einen mangelhaften Besuch zu einer niederen Schule mit etwas Lateinunterricht herab und erreichte erst nach 1818 wieder den Rang eines Progymnasiums und nachfolgend den Rang einer höheren Bürgerschule. Das Gymnasium in Deutsch Krone wurde 1823 Progymnasium und 1858 vollständiges Gymnasium. Die zunächst eingegangene Anstalt in Konitz wurde 1815 als Gymnasium wieder hergestellt. Anstelle des 1815 förmlich aufgelösten Jesuitengymnasiums in Graudenz wurde dort ein Schullehrerseminar gegründet. In den folgenden Jahrzehnten vergrößerte sich die Zahl der "Gelehrtenschulen" in der Provinz nachhaltig. Die alten Danziger Schulen (Petrischule und Johannisschule) entwickelten sich zu höheren Bürgerschulen und weiter zu Realanstalten. Ähnliche Lehranstalten entstanden in Elbing und Thorn neben den dort bestehenden Gymnasien. In Jenkau bei Danzig entstand durch die "von Conradische Stiftung" ein Schul- und Erziehungsinstitut und auch in Graudenz, Kulm, Marienwerder, Marienburg und Neustadt entwickelten sich höhere Lehranstalten.

Das gesamte Schulwesen der Provinz Westpreußen unterstand ursprünglich der Westpreußischen Regierung in Marienwerder. Im Zuge der Verwaltungsreform im Jahr 1808 wurde zunächst bei der zu dieser Zeit noch bestehenden Kriegs- und Domänenkammer das Westpreußische Kirchen- und Schulkollegium eingerichtet, die bald darauf in den Zuständigkeitsbereich der neu gebildeten Westpreußischen Regierung überging. Nach Einrichtung des Konsistoriums in Danzig (1816) bzw. des Konsistoriums und Provinzial- Schulkollegiums in Danzig (später in Königsberg), gingen Aufsicht und Leitung der Gelehrtenschulen, der Gymnasien und auch der Schullehrerseminare auf die neue Behörde über, während die Aufsicht über die übrigen Schulanstalten den Regierungen in Danzig und Marienwerder verblieb. Durch "Allerhöchsten Erlass" vom 26. August 1859 und "Kabinettsorder" vom 3. Januar 1872 wurden auch die Realschulen, Progymnasien und die höheren Bürgerschulen unter die mittelbare Aufsicht des Provinzial-Schulkollegiums gestellt, so dass danach alle öffentlichen höheren Lehranstalten (ab 1910 auch die höheren Töchterschulen) zu dessen Geschäftskreis gehörten.

Die unmittelbare Aufsicht über die "niederen Schulen" wurde im Auftrag der Regierungen durch die ihnen angehörenden technischen Räte, die Regierungs- und Schulräte als Kommissare der Regierung und ständig durch die Ortschulinspektionen und Kreisschulinspektionen geführt. Mit ihr waren ursprünglich die Ortsgeistlichen und in den evangelischen und katholischen Schulinspektionskreisen die Superintendenten und Dekane beauftragt. Durch Erlass vom 28. Oktober 1812 wurden auf dem Lande Schulvorstände (bestehend aus dem zuständigen Pfarrer, dem Patron und zwei bis vier Familienvätern) eingerichtet, die als örtliche Aufsichtsbehörde fungierten. Für die Städte waren bereits durch die Städteordnung vom 19. November 1808 städtische Schuldeputationen mit entsprechender Aufsichtsbefugnis eingerichtet. Durch Gesetz vom 11. März 1872 wurde die Schulaufsicht dann allgemein geregelt und insbesondere bestimmt, dass die Ernennung der Lokal- und Kreisschulinspektoren sowie die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeitsbereiche eine ausschließlich staatliche Aufgabe (mithin nicht mehr Bestandteil des geistlichen Amtes, sondern bei Bestellung von Pfarrern ein für diese jederzeit entziehbares Nebenamt) sei. Im Regierungsbezirk Danzig waren 1910 fünfzehn weltliche Kreisschulinspektoren und nebenamtlich sieben evangelische und drei katholische Geistliche tätig. Im Regierungsbezirk Marienwerder waren zur gleichen Zeit dreiunddreißig ständige Kreisschulinspektoren (und nebenamtlich keine Geistlichen) tätig.

Die Landwirtschaftsschule in Marienburg war unmittelbar der Aufsicht der Abteilung für Kirchen- und Schulwesen bei der Regierung zu Danzig unterstellt. Der unmittelbaren Aufsicht der jeweiligen Regierungspräsidenten (nicht der Abteilungen für Kirchen- und Schulwesen) unterstanden einige besondere (meist gewerbliche) Lehranstalten. Im Regierungsbezirk Danzig galt dies für die Städtische Handels- und Gewerbeschule in Danzig, die Navigationsschule in Danzig, die Städtische Gewerbeschule und die Handels- und Gewerbeschule für Mädchen in Elbing, die Erziehungs- und Besserungsanstalt in Konradshammer bei Oliva, die Provinzialgewerbeschule in Danzig (aufgelöst am 1. Oktober 1878), und die Handelsakademie in Danzig (aufgelöst 1891). Im Regierungsbezirk Marienwerder galt dies für die Baugewerkschule in Deutsch Krone, die Maschinenbauschule in Graudenz, die Gewerbeschule in Thorn, die Haushaltungs- und Gewerbeschule für Mädchen in Thorn, und die Haushaltungsschule in Briesen.

Dem Provinzial-Schulkollegium in Danzig unterstanden 1910 folgende Schulen:
 

  • Gymnasien in Danzig (Städtisches und Königliches Gymnasium), Elbing, Deutsch Eylau, Deutsch Krone, Graudenz, Konitz, Kulm, Marienburg, Marienwerder, Neustadt, Preußisch Stargard, Schwetz, Strasburg und Thorn
     
  • Realgymnasien in Danzig (Johannisschule), Danzig-Langfuhr, Dirschau, Thorn (mit dem Gymnasium vereinigt) und Zoppot
     
  • Oberrealschulen in Danzig (St. Petri), Elbing und Graudenz
     
  • Progymnasien in Berent, Langfuhr (von Conradische Erziehungsanstalt, früher in Jenkau, seit 1900 in Langfuhr), Löbau, Neumark und Preußisch Friedland
     
  • Realschulen in Kulm, Langfuhr (von Conradische Stiftung), Mewe, Riesenburg und Tiegenhof
     
  • Realprogymnasien in Briesen und Kulmsee
     
  • Schullehrerseminare in Berent, Deutsch Krone, Elbing, Graudenz, Langfuhr, Löbau, Marienburg, Neustadt, Preußisch Friedland, Preußisch Stargard, Thorn (ein evangelisches und ein katholisches Seminar) und Tuchel
     
  • Präparandenanstalten in Deutsch Krone, Elbing, Graudenz, Jastrow, Langfuhr, Löbau, Marienwerder, Preußisch Stargard, Schlochau, Schwetz und Thorn
     
  • Taubstummen- und Blindenanstalten in Marienburg und Schlochau (jeweils Provinzialtaubstummenanstalten), die städtische Taubstummenanstalt in Danzig und die Provinzialblindenanstalt in Königstal bei Danzig
     
  • Höhere Töchterschulen in Berent, Danzig (6), Dirschau, Elbing, Graudenz, Konitz, Marienburg, Marienwerder, Thorn und Zoppot
     
  • Pädagogisches Seminar für höhere Schulen in Danzig.
     

Am 1. Oktober 1904 wurde in Danzig zudem eine Technische Hochschule für die sechs Fachrichtungen Architektur, Bauingenieurwesen, Maschineningenieurwesen und Elektrotechnik, Schiff- und Schiffsmaschinenbau, Chemie, sowie für allgemeine Wissenschaften eröffnet, die dem Unterrichtsministerium in Berlin unmittelbar unterstellt war.


 

Weiterführende Literatur:

Max Bär, Die Behördenverfassung in Westpreußen seit der Ordenszeit, Danzig 1912 (Reprint als Sonderschrift Nr. 62 des Vereins für Familienforschung in Ost- und Westpreußen, Hamburg 1989);

Erich Hoffmann, Theodor von Schön und die Gestaltung der Schule in Westpreußen, Marburg/Lahn 1965;
Reinhold Heling, Personenverzeichnisse der Lehrerseminare - eine familienkundliche Aufgabe in: Altpreußische Geschlechterkunde Neue Folge, Band 19 (1989), Seite 309 ff.;

Kurt Vogel, Die Verzeichnisse der Seminaristen der Lehrerseminare Kl. Dexen und Pr. Eylau 1816-1924, Hamburg 1993 (= Sonderschrift Nr. 72 des Vereins für Familienforschung in Ost- und Westpreußen e. V.);

Fritz Naunheim, Das Schullehrerseminar in Marienburg in Westpreußen
Die Zeit von 1812-1833 in: Altpreußische Geschlechterkunde Neue Folge, Band 18 (1988), Seite 8 ff.
Die Zeit von 1833-1855 in: Altpreußische Geschlechterkunde Neue Folge, Band 21 (1991), Seite 573 ff.
Die Zeit von 1856-1865 in: Altpreußische Geschlechterkunde Neue Folge, Band 23 (1993, Seite 299 ff.
Die Zeit von 1866-1886 in: Altpreußische Geschlechterkunde Neue Folge, Band 26 (1996), Seite 137 ff.
Die Zeit von 1887-1923 in: Altpreußische Geschlechterkunde Neue Folge, Band 27 (1997), Seite 353 ff.

Marianne Stanke, Collegium Marianum in Pelplin (Schülerverzeichnis 1858-1920), Selbstverlag, Bonn 2000

Hans Christoph Surkau, Die Absolventen der höheren Schulen Ost- und Westpreußens 1825-1915
Teil  I Regierungsbezirk Danzig - 1. Band: Stadt Danzig, Hamburg 2016
Teil  I Regierungsbezirk Danzig - 2. Band, Hamburg 2016
Teil II Regierungsbezirk Marienwerder - 1. Halbband Briesen - Graudenz, Hamburg 2019
Teil II Regierungsbezirk Marienwerder - 2. Halbband Löbau - Thorn, Register, Hamburg 2019
[= Quellen, Materialien und Sammlungen zur altpreußischen Familienforschung (QMS) Nr. 23/1 bis 23/4]

Online verfügbar ist die von der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung in Berlin veröffentlichte "Volksschullehrerkartei Preußens". Diese Datenbank enthält individuelle persönliche Angaben von Volksschullehrern und Volksschullehrerinnen in Preußen, beginnend mit dem Geburtsjahr 1856 (Datenbestand: rund 138.000 Datensätze).